Aso 2.0 goes digital

10.02.2022

Wie können wir die Aso-Region digital erforschen? Die Aso Winter Field School 2022 startet mit 10 Studierenden den Versuch einer Online-Exkursion.

Von Sebastian Polak-Rottmann und Hanno Jentzsch

Die Aso-Region im Süden Japans und die Japanologie der Universität Wien sind seit Jahrzehnten eng miteinander verbunden. Seit Mitte der 2010er-Jahre verfolgen wir unter der Leitung von Wolfram Manzenreiter das Projekt Aso 2.0, das an die für die damalige deutschsprachige Japanologie ungewöhnliche und wegbereitende ethnografische Erforschung des Sozialraums Aso in den 1960er-Jahren anknüpft. Nach mehreren Forschungsaufenthalten der Wissenschaftler*innnen am Institut fand 2018 auch eine studentische Exkursion nach Aso statt. Gerne hätten wir dieses Projekt fortgeführt, doch die Pandemie kam uns dazwischen. Die naheliegende Alternative war eine vergleichende Exkursion ins salzburgerische Dienten im Sommer 2021. Die Aso Winter School 2022 geht einen anderen Weg: Wir besuchen unser Forschungsfeld digital. 

Im Wintersemester 2021/2022 haben wir die Exkursion mit 11 Studierenden vorbereitet. Im Fokus stand dabei eine thematische Einführung in verschiedene Aspekte des gesellschaftlichen Lebens in Aso - einer überwiegend ländlichen Region in und um die Caldera des aktiven Aso-Vulkans, die nicht nur geologisch sondern auch sozial sehr dynamisch ist. Daneben haben sich die Studierenden auch mit den Besonderheiten der qualitativen Sozialforschung im digitalen Raum auseinandergesetzt. Immer wieder kamen wir auf eine bisher ungeklärte Frage zurück: Wie können wir den ländlichen Raum und die dort herrschenden sozialen, politischen und ökonomischen Beziehungen aus der Ferne erfassen - und können wir das überhaupt?

Die Studierenden haben vier Forschungsgebiete erarbeitet, die sie in kleinen Gruppen über einen Zeitraum von 16 Tagen intensiver Online-Exkursion erschließen werden. Alle vier Themenfelder stellen aktuelle sozio-ökonomische Herausforderungen in der Aso-Region dar, und alle sind - so ist zumindest zu vermuten - direkt von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Im Einzelnen sind dies:

  • ­Tourismus: Wie geht die lokale Tourismusindustrie mit der aktuellen Situation um? 
  • Soziale Organisation: Wie gelingt die Pflege von lokalen religiösen und sozialen Traditionen, und welche Veränderung bzw. Anpassungen sind zu beobachten?
  • Soziale Wohlfahrt: Welche zusätzlichen Herausforderungen in Bezug auf die soziale Wohlfahrtsversorgung entstehen in der onhehin von Alterung stark betroffenen Region? 
  • Migration: Wie erleben junge Migrant*innen aus urbanen Zentren Japans die Aso-Region und wie kommunizieren sie ihre Eindrücke?

Unser Programm soll auf verschiedenen Kanälen einen Zugang zur Region ermöglichen. Wir interviewen Gesprächspartner*innen online oder übertragen größere Meetings per zoom in unseren Seminarraum. Als unsere Augen, Ohren und Beine vor Ort hilft uns Dr. Johannes Wilhelm (Universität Kumamoto) dabei, Kontakte zu knüpfen und digitale Spaziergänge durch die Ortschaften durchzuführen, um auch ein bildliches Verständnis der Region zu ermöglichen.  

Wird das funktionieren? Wir wissen es noch nicht. Sicher wissen wir aber, dass wir uns mit einer methodologischen Herausforderung konfrontiert sehen, die bisher relativ wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Während digitale ethnografische Forschung in der Corona-Pandemie einen Boom und nicht zuletzt längst überfällige Legitimation erfährt, bezieht sich diese Forschung dennoch überwiegend auf Räume, die zumindest zum Teil ohenhin digital erschlossen sind. Ländliche Räume und ihre sozialen Beziehungen sind dagegen noch immer (?) nur sehr eingeschränkt digitalisiert. Die Herausforderungen, die mit dieser Beobachtung verbunden sind, haben wir bereits in der Vorbereitung erfahren: Die "Migrationsgruppe" befasst sich mit Personen, für die Onlinepräsenz ein selbstverständlicher Teil von Arbeit und Alltag ist. Die "Tourismusgruppe" kann auf einen großen Fundus von online verfügbaren Materialien zurückgreifen. Dagegen sind die Verschiebungen und Herausforderungen für lokale Traditionspflege und - eng damit verbunden - soziale Wohlfahrt und Wohlbefinden im ländlichen Raum wesentlich schwieriger zu erschließen. Das heißt nicht, dass diese Themen weniger wichtig sind. Im Gegenteil: Sie sind im Forschungsfeld hoch relevant. Unser Projekt stellt daher auch die Frage, ob der aktuelle Boom digitaler Forschungsmethoden nicht neue Formen der Marginalisierung mit sich bringt, wenn er sich zu stark an dem Bias der digitalen Zugänglichkeit orientiert. Wir wollen zeigen, dass es sich auch bei eingeschränktem (oder bestenfalls indirektem) Zugang lohnt, diese Themen zu behandeln. Wie das aussehen kann, werden wir unter anderem auf diesem Blog dokumentieren.
   

Feldforschung aus der Ferne. Bild: spr