Japankoreanische hibakusha als Irritation nationaler Narrative: Die Erzählung Saihate no futari („Zwei Menschen am Rande“, 1999) von Sagisawa Megumu

18.11.2021 18:30 - 20:00

A virtual u:japan lecture by Maren Haufs-Brusberg (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)

| Abstract |

Die Schriftstellerin Sagisawa Megumu (鷺沢萠, 1968-2004) gilt sowohl als Autorin von Prekariatsliteratur als auch von japankoreanischer Literatur. Nachdem sie erst nach ihrem frühen literarischen Debut 1987 entdeckte, dass ihre Großmutter väterlicherseits koreanischer Herkunft war, begann sie, sich intensiv mit der japankoreanischen Minderheit in Japan zu beschäftigen und ab 1994 Texte hierzu zu veröffentlichen. In meinem Vortrag setze ich mich mit Sagisawas 1999 publizierter Erzählung Saihate no futari („Zwei Menschen am Rande“) auseinander. Im Mittelpunkt der Erzählung steht eine junge Frau, die ein uneheliches Kind eines US-Soldaten und einer Japanerin ist. Sie arbeitet in einer Bar, wo sie sich in einen Gast verliebt, einen Japankoreaner, der deutlich älter ist als sie. Die Beziehung zwischen beiden währt jedoch nur wenige Monate, da der Japankoreaner bald an Leukämie verstirbt. Wie sich im Nachhinein herausstellt, war er der Nachkomme einer hibakusha, denn seine ebenfalls in mittleren Jahren verstorbene Mutter war eine Überlebende des Atombombenabwurfs auf Nagasaki. Die Erzählung endet damit, dass die Protagonistin bemerkt, dass sie schwanger ist.

Wie anhand der knappen Zusammenfassung der Erzählung deutlich wird, entwirft Saihate no futari bereits durch die Figurenkonstellation ein komplexes Netz an Beziehungen und Verweisen, dessen Fäden gewissermaßen in der Figur des Ungeborenen zusammenlaufen: Dessen Vorfahren väterlicherseits sind koreanischer Herkunft. Seine Großeltern emigrierten als Folge der Kolonialisierung Koreas und des von Japan geführten Pazifikkriegs nach Japan, wo die Großmutter Opfer des US-amerikanischen Atombombenabwurfs auf Japan wurde. Dieser bedeutete für Japan die rasche Kapitulation, für die USA den Sieg und für Korea die Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft. Seine Großmutter mütterlicherseits hingegen ist Japanerin und der Großvater mütterlicherseits ein US-Soldat, der im Zuge des Vietnamkriegs in Japan stationiert war, womit auch auf den Kalten Krieg, in dem die nukleare Bedrohung eine wesentliche Rolle spielte, verwiesen wird.

In meinem Vortrag richte ich meinen Fokus auf die Figuren der japankoreanischen hibakusha in der Erzählung, nämlich der Mutter des Japankoreaners als hibakusha der ersten Generation und ihren Sohn als hibakusha der sogenannten zweiten Generation, und arbeite heraus, inwiefern diese vor dem Hintergrund der geschilderten komplexen Figurenkonstellation sowohl vorherrschende nationale japanische Narrative als auch US-amerikanische Narrative der Atombombenabwürfe irritieren.

| Bio |

Maren Haufs-Brusberg M.A. studierte mit interdisziplinärer Ausrichtung Japanologie, Politikwissenschaften, Philosophie und Soziologie an der Universität Trier. 2007/2008 absolvierte sie als DAAD-Stipendiatin ein Studienjahr an der Tōkyō kokusai daigaku in Kawagoe, Saitama. Nach ihrem Studium war sie von 2013 bis 2018 als Lehrbeauftragte in der Japanologie der Universität Trier tätig, wo sie auch ihr Promotionsvorhaben zu Verflechtungen von Ethnizität und Gender in der japankoreanischen Gegenwartsliteratur begann. Von August bis Oktober 2018 forschte sie hierfür als Stipendiatin am Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ) in Tokyo. Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Modernes Japan an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

| Date & Time |

u:japan lecture | s03e06
Thursday 2021-11-18, 18:30~20:00
max. 300 participants 

| Plattform & Link |

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