Nachruf: Berthold Steinschaden (1956-2017)

08.11.2017

von Wolfram Manzenreiter, Institut für Ostasienwissenschaften; stv. Institutsvorstand und Leiter der Japanologie-Abteilung

Am 7. Oktober hat die Wiener Japanologie einen langjährigen Begleiter und Gönner verloren. Viel zu früh verstarb im 62. Lebensjahr Berthold Steinschaden, vielen bekannt für seine Forschungen zum Sumō und seine Tätigkeiten als Lektor am Institut für Ostasienwissenschaften.

Berthold Steinschadens großes Interesse am japanischen Sumō-Ringkampf war der Ausgangspunkt für eine besondere Karriere, die er im fortgeschrittenen Alter in den 1990er Jahren an der Universität Wien begann. Das Studium der Japanologie betrieb der Spätberufene parallel zu seinem Heurigenlokal in Heiligenstadt und dem Vertrieb der Weinprodukte des Familienbetriebs in Langenlois. Seine KommilitonInnen überragte Berthold Steinschaden nicht nur an Jahren, sondern auch an praktischen Erfahrungen und Eindrücken aus zahlreichen Japanreisen, auf denen er zwei seiner großen Leidenschaften, Sumō und Sushi, nachging.

Von 2010 bis 2012 setzte Berthold Steinschaden seine akademische Ausbildung fort mit einem MBA-Studium an der Sales Manager Akademie. In dem Programm konnte er sich neben Management und Betriebswirtschaftslehre auch dem japanischen Kampfsport und Ethikfragen widmen. Seiner Erfahrung und seinen Kompetenzen zu verdanken hatte er Lehraufträge zur Geschichte des Kampfsports, zur Landeskunde und zur japanischen Wirtschaftsethik, die er als Lektor am Institut für Ostasienwissenschaften und der Donau Universität Krems hielt.

Mit dem Sumō war Berthold Steinschaden vertraut wie kaum ein zweiter. Wie viele Turniere er in all den Jahren besucht hat (65 waren es zwischen 1988 und 2012), entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand mit Wohnsitz außerhalb Japans bei mehr Turnieren persönlich anwesend gewesen sein kann. Kam er von einer seiner vielen Reisen zurück, wusste er nicht nur von spannenden Turnieren zu berichten, sondern vermochte auch mit persönlichen Begegnungen mit illustren Ringernamen und Funktionären aus der Welt des Sumō zu beeindrucken. Bescheiden wie er war, drängte er sich mit seinem Wissen nicht auf. Aber wenn er gefragt wurde, konnte er stundenlang von seinen Erlebnissen erzählen. In Vorträgen, die er gelegentlich auf Einladung des Akademischen Arbeitskreis Japans und regelmäßig vor einem kleinen Kreis von Freunden und Sumō-Aficionados im heimischen Heurigen hielt, verblüffte er durch sein Detailwissen, dank dem er zahlreiche Querbezüge herstellen konnte zwischen aktuellen und historischen Geschehnissen. Akribisch verfolgte und dokumentierte er die Entwicklung des traditionellen Kampfsports. Berthold Steinschaden konnte die Kennziffern vieler Ringer auswendig aufsagen, ihre Erfolgsquote, den Werdegang und den einmal erreichten Marktwert, ihr Körpergewicht und ihre typischen Ringertechniken. Respekt gewann man bei ihm, wenn man in der Lage war, außergewöhnliche Grifftechniken, die vor allem durch den Einzug der mongolischen sumōtori das Erscheinungsbild des Sports veränderten, fehlerfrei zu identifizieren.

Seine tiefe Freude am Sumō wusste Berthold Steinschaden auch mit Sportjournalisten und Fans des traditionellen Nationalsports Japans zu teilen, die er wiederholt auf Reisen nach Japan mitnahm. Gemeinsam besuchten sie Turniere im Kokugikan, dem Mekka des Sports im Tokyoter Stadtteil Ryōgoku, verfolgten das Training in einem der Heya, mit denen er persönlich gut verbunden war, und erfreuten sich am frischen Sushi in seinen Lieblingslokalen. Sein großes Wissen gab Berthold Steinschaden auch in publizistischer Form weiter, zuletzt als Autor und Redakteur für die Brücke, das Mitgliederorgan der Österreichisch-Japanischen Gesellschaft, deren Vorstand er auch über Jahre angehörte. Er war ein enger Freund des ebenfalls sehr früh verstorbenen Bonner Verlegers und Herausgebers Dieter Born. Regelmäßig erschienen von Berthold Steinschaden produzierte Sumō-Seiten im Japan-Magazin des Verlags, die Berthold Steinschaden mit selbst geschossenen Aufnahmen illustrierte. Für Insider war es kein Geheimnis, dass das Überleben des defizitären Magazins zu einem beträchtlichen Teil von den persönlichen finanziellen Opfern von Berthold Steinschaden abhing. Auch das Erscheinen des prächtigen Bildbands Faszination Sumo, der 2012 im Verlag Dieter Born erschien, hatte viel dem finanziellen Engagement Berthold Steinschadens zu verdanken. LeserInnen des Buches dürfte klar sein, wie sehr Berthold Steinschaden, der in dem Buch nur als Herausgeber aufgeführt wird, auch als Stichwortgeber und Lektor an dem Entstehen des Bandes beteiligt gewesen war.

Genauso stolz wie Berthold Steinschaden auf seine Akkreditierung bei der japanischen Sumō-Vereinigung gewesen war, konnte er auf einen guten Tropfen aus der Weinproduktion des familiären Betriebes sein. Über viele Jahre bewirtete er die MitarbeiterInnen und Studierenden der Wiener Japanologie in seinem Heurigen Steinschaden in der Wiener Heiligenstadt anlässlich unzähliger Sommerfeste, Weihnachtsfeiern und Konferenzempfänge. Auch bei den Buffets, die er für universitäre Veranstaltungen auf dem Campus organisierte, oder bei Besuchen in dem von ihm bis zuletzt als Teilhaber geführten Restaurant Sakai zeigte sich Berthold von einer selbstlosen Großzügigkeit, die für uns Beschenkte nahezu beschämend war. In den fortgeschrittenen Stunden holte Berthold Steinschaden für ausgewählte Gäste gerne einen oder mehrere besondere Weine oder Sake hervor, selbstverständlich alles auf eigene Rechnung. Nicht nur deshalb wird die große Lücke, die sein Ableben gerissen hat, nicht aufzufüllen sein.