Unerwartete Ereignisse

23.02.2022

Über Erwartungen, Abhängigkeiten und Grenzen der Forschung im digitalen Raum.

Juliana Neuninger

Auch heute stand wieder ein ereignisreicher Tag auf unserem Programm. Wie am Tag zuvor starteten wir bereits um 7 Uhr unserer Zeit mit einem Online-Meeting. Aufgrund des frühen Beginns stand es uns frei zu entscheiden, ob wir vor Ort in den Studierraum kommen oder uns online zuschalten. So nahmen die meisten von uns online teil, während zwei Studierende gemeinsam mit den Lehrpersonen in Wien waren. Ich war ebenfalls online anwesend, denn gut eine Stunde Anreise quer durch die österreichischen inaka ist früh morgens dann doch etwas weniger idyllisch. So startete unser Meeting also etwas nach 7 Uhr – und in meinem Fall durfte ich von meiner physischen Umgebung im ländlichen Österreich virtuell in die Aso-Region „reisen“:

Wir fanden uns alle im yakuba (Rathaus) von Minamiaso wieder – einem mehrstöckigen Gebäude modernen Stils – und hatten die Gelegenheit mit Mitgliedern der örtlichen Chiiki Okoshi Kyōryokutai (COKT) zu sprechen. Die COKT ist ein staatliches Programm, das zur Revitalisierung von Regionen mit stark abnehmender Bevölkerungszahl neue Leute in diese Gebiete holt und dort Projekte finanziert. Heute war der letzte Tag des hōkoku-kai der COKT in Minamiaso – ein jährliches Treffen, bei dem alle Mitglieder sich selbst und ihre Projekte der Bevölkerung vorstellen. Dr. Wilhelm – unser Kontakt vor Ort – war mit seiner Handykamera anwesend und hat uns einige Mitglieder der COKT sowie Besucherinnen der Veranstaltung vorgestellt.

Wir hatten geplant, im Laufe dieses Events in Kleingruppen mit den Mitgliedern zu sprechen, weshalb wir zunächst sehr zurückhaltend mit unseren Fragen waren. Gleichzeitig hatten die COKT-Mitglieder ihren Fokus mehr auf ihre Selbstvorstellung sowie die Vorstellung ihrer Projekte gelegt, während Dr. Wilhelm dieses Event eher spontan durchführen wollte. Es trafen also unterschiedlichste Erwartungen aufeinander, welche bei Feldforschung – vor allem im digitalen Raum – ausgehandelt und koordiniert werden müssen. Im Verlauf des Treffens wurde uns bald klar, dass dieses Meeting wahrscheinlich nicht unseren erwarteten Ablauf haben würde. Es ergab sich, dass Dr. Wilhelm vor Ort die Leitung des Events übernahm und sich mit seinem Handy durch das yakuba bewegte. Anstelle des Austausches mit einigen Mitgliedern der COKT in Kleingruppen blieben wir im Plenum und hatten so die Möglichkeit, Fragen an einzelne Personen zu stellen, während Dr. Wilhelm durch das yakuba ging und diese Personen ins Bild holte. Durch diesen unerwarteten Verlauf war es für uns zunächst schwierig, in die neue Situation zu finden; nach und nach wurden allerdings von unserer Seite auch einige sehr interessante Fragen gestellt, auf welche wir spannende Antworten erhielten. Besonders anregend fand ich beispielsweise die Beschreibung, dass die COKT-Mitglieder und die lokale Bevölkerung bis auf derartige Austauschtreffen wie das hōkoku-kai selten direkt miteinander interagieren.

Insgesamt denke ich, dass die heutige Situation uns allen verdeutlicht hat, welche Grenzen und Abhängigkeiten bestehen, wenn man – vor allem digital – Feldforschung betreibt. Man ist auf seine Kontakte angewiesen, um Informationen zu erhalten sowie um mit neuen Personen in Kontakt zu treten, und natürlich sind wir diesen auch sehr dankbar für ihr Engagement. Gleichzeitig gibt es aber immer wieder auch Fälle, in welchen unterschiedlichste Erwartungen aufeinandertreffen und miteinander konkurrieren. Wie flexibel, wie anpassungsfähig und zu einem gewissen Grad auch wie spontan man bei der Durchführung von Feldforschung sein muss, das haben wir heute aus erster Hand erfahren. Vermutlich haben wir während des Austausches mit der COKT in Minamiaso nicht alle Informationen erhalten, die wir gerne von dieser Veranstaltung mitgenommen hätten – aber gleichzeitig sind wir nun aber um viele Eindrücke über die lokale COKT, zahlreiche Erkenntnisse über (digitale) Feldforschung und einige Kontakte reicher. So dürfen wir in der Migrationsgruppe demnächst eine Person der COKT interviewen, die im Bereich der Migrationsförderung tätig ist. Wir freuen uns!

Minamiaso und ländliches Österreich in einem Bild. Foto: Juliana Neuninger.

Schauplatz der Veranstaltung war das Rathaus von Minamiaso. Screenshot: Juliana Neuninger.