TAFEL 4: Fotos traditioneller Schönheiten
Bei den berühmten japanischen Farbholzschnitten der vorindustriellen Zeit dominieren Darstellungen von Schönheiten (bijinga 美人画), was insofern überrascht, als diese keine individuellen Gesichtszüge wiedergeben. Was die Anziehungskraft dieser Bilder ausmachte, dürften die kunstvollen Frisuren und Gewänder der Kurtisanen gewesen sein. „Gewöhnliche“ Frauen fanden auf den Ukiyo’e kaum Platz. Bei den neuen Bildpostkarten ab 1900 verhält es sich ähnlich: „gewöhnliche“ Frauen wurden zunächst nicht fotografiert. Laut dem Soziologen Satō Kenji waren zunächst alle „Foto-Bildpostkarten von Schönheiten“ (bijin ehagaki 美人絵葉書) Aufnahmen von Geishas, wobei dieser Begriff sehr weitläufig ist und während der späten Meiji-Zeit längst nicht mehr nur die professionellen Unterhalterinnen der Edo-Zeit umfasste. Die fotografierten Schönheiten waren wohl vielmehr einfach Vertreterinnen des Unterhaltungsgewerbes. Nach der Durchsetzung des Films als Unterhaltungsmedium und nach der Gründung des Takarazuka-Frauenrevuetheaters kamen in den 1920er Jahren unzählige Foto-Bildpostkarten von Schauspielerinnen auf den Markt. Nicht wenige Fotos gibt es von Straßenmusikerinnen und von Hausmädchen. Ganz in der Tradition der Ukiyo’e veröffentlichten auch die Ansichtskartenverlage lange Serien mit Fotos von Schönheiten (06, 11).
Einige Fotomodelle sind immer wieder auf Bildpostkarten zu finden, sie schienen wohl einen Fotostar-Status erreicht zu haben wie die unbekannte Japanerin auf den Karten 16 bis 23, die auf Dutzenden verschiedenen Bildpostkarten zu finden ist und allen Sammlern historischer japanischer Bildpostkarten vertraut ist.
Es versteht sich von selbst, dass die Foto-Bildpostkarten von Schönheiten bei den ausländischen Matrosen und Touristen besonders beliebt waren und auch in den Japan-Läden in den europäischen Großstädten zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr gerne gekauft und auch versandt wurden, weshalb es viele in Europa gelaufene Exemplare gibt.